Strandvogt Otto Wünsch: „Die Teufelseier waren am gefährlichsten.“
Die mecklenburgischen Landesfürsten setzten bereits im Mittelalter für vorgegebene Abschnitte der Ostseeküste Strandvögte ein. Deren Aufgabe bestand im Auftrag der Strandämter darin, Schiffsbrüchige aus Seenot zu retten, die Bergung von gestrandeten Schiffen und deren Gut zu organisieren sowie – wenn möglich – den Eignern auszuhändigen oder öffentlich zu versteigern. Der letzte offizielle Strandvogt für den Küstenabschnitt zwischen Heiligendammer Wald und Campingplatz Meschendorf war der Kühlungsborner Fischermeister Otto Wünsch. Sein Dienst endete 1971 mit der Auflösung aller Strandämter in den Kreisen der DDR unmittelbar an der Ostseeküste.
Viele Jahre fuhr Wünsch den Küstenabschnitt mit dem Fahrrad entlang, beging ihn zu Fuß oder beobachtete ihn von seinem Fischerboot aus. Die Ostsee und ihre Küste bestimmten sein Leben. Er war mit beidem seit früher Kindheit verwachsen, denn auch sein Vater lebte von der Küstenfischerei. Er half ihm dabei schon als kleiner Junge. Täglich hörte er morgens als erstes den Seewetterbericht und sah spät abends noch einmal auf die Ostsee hinaus, um das Wetter für den kommenden Tag vorauszusagen.
Otto Wünsch wurde 1956 offiziell in sein Amt eingeführt. Ein Dienstausweis bestätigte seine Funktion. In seiner Vollmacht, vom Rat des Kreises ausgestellt, heißt es: „Seinen Anordnungen ist Folge zu leisten.“ Er besaß praktisch die Polizeigewalt in seinem Küstenabschnitt. Die Einheimischen erkannten ihn ohnehin an seiner unverwechselbaren Kopfbedeckung, einer dunkelblauen Schirmmütze, eigens für den Strandvogt vorgeschrieben. Wünsch wurde von Küstenbewohnern und Urlaubern gleichermaßen als Respektperson anerkannt. Sie schätzten ihn, weil er seine Aufgaben korrekt ausführte und weil er einer von den alten Arendseeern war, mit denen man über „dit und dat snacken“ konnte.
Über Schmuggel und Piraterie gab es seit Jahrzehnten an unserer Küste nichts mehr zu vermelden, aber so mancher Segler war doch vor Kühlungsborn in Seenot geraten. Ihnen galt es zu helfen. Doch weit schlimmer waren in den vierziger und fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts die „Teufelseier“, wie man die Treibminen aus dem Zweiten Weltkrieg nannte. War so ein Teufel angeschwemmt, musste der Küstenstreifen weiträumig abgesperrt und das Minensuchkommando der Seestreitkräfte alarmiert werden. Einmal kollidierte sogar ein Dampfer, beladen mit einer großen Ladung Schnittholz, mit einem solchen Teufelsei und sank. Personen kamen dabei nicht zu Schaden. Die Bretter konnten unter der Leitung des Strandvogts geborgen werden. Wünsch erinnerte sich: Alarm gab es einmal für ihn, als sich eine Rotte Wildschweine in die Ostsee gewagt hatte; alle ertranken. Mehrfach rief man ihn, um mit Helfern schwimmende Kühe aus der Ostsee herauszutreiben. Auch mancher Strandkorb wurde von ihm mit freiwilligen Helfern in einer Sturmnacht höher ans Ufer getragen, so manches Boot in solchen Situationen in Sicherheit gebracht. „Zweimal waren Menschenleben wirklich in Gefahr. Einmal trieben Kinder auf einer Eisscholle ins offene Meer, und ein anderes Mal wurden Stadtarbeiter, die beim Buhnenbau beschäftigt waren, bei steifer Brise auf einer Plattform ins Meer abgetrieben.
Auch Ärger kam vor, wenn sich Urlauber in den Dünen zwischen Kühlungsborn und Kägsdorf wohlig eingerichtet hatten und nicht einsehen wollten, dass diese aus Gründen des Küstenschutzes zu verlassen seien. Dann drohte dem sonst kaum aus der Fassung zubringenden Mecklenburger sogar der Kragen zu platzen.
Viele Jahre unterstand den Strandvögten der begrenzte Verkauf von Seesand und Kies vom Strand außerhalb des Badebereichs. Der Kubikmeter kostete 50 Pfennig, abgerechnet wurde beim Strandvogt. Doch auch noch zu Otto Wünschs Amtszeit ist so manche Fuhre des Nachts unentgeltlich und unerlaubt davongeschafft worden. Diese Sand-, Kies- und auch Steinentnahme wurde 1960 strengstens untersagt, um die Küste nicht weiter zu beschädigen.
Mit großem Interesse verfolgte auch der „alte Wünsch“ nach seiner Pensionierung das Geschehen am Strand: den Buhnenbau, die Strandaufspülungen und die Dünenbildung. Die Kühlungsborner kannten ihren Strandvogt, und auch genauen Beobachtern fiel er auf, wenn er am Strand stand, Strömung, Wasserstand und Windrichtung registrierte, den Fischern einen guten Fang wünschte und den Buhnenbauern seinen Rat erteilte.
(Geschrieben von Herrn Dr. Jürgen Jahnke)